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ALL DAS SCHÖNE

von Duncan Macmillan

im Theater Regensburg

Premiere 11.6.22

Erzählerin        

Regie               

Sounddesign   

Ausstattung

Constanze Winkler

Tamira Kalmbach

Ben Kopfnagel

Christiane Hilmer

Was das Leben lebenswert macht

Das Junge Theater Regensburg bringt

Duncan Macmillans „All das Schöne“ ganz nahe

Von Christian Muggenthaler

Wenn man über das Thema Depression

schreibt und spricht, muss

man sich darüber klar sein, dass

diese massive Störung des inneren

Gleichgewichts eine ernst zu nehmende

Krankheit ist, die sich unterscheidet

von einem Mal-schlechtdrauf-

Sein. Je nach Quellenlage

kann man davon ausgehen, dass

rund zehn Prozent der Bevölkerung

an dieser Krankheit gelitten haben

oder leiden. Dennoch wird sie gemeinhin

eher beschwiegen oder gilt

gar in einer auf Erfolg getrimmten

Gesellschaft als eine Art persönlicher

Mangel. Und natürlich macht

es auch etwas mit den Angehörigen,

einen an Depression leidenden

Menschen in der Familie zu haben:

Wie geht man damit um?

Wie ein Gespräch

unter Freunden

Duncan Macmillans Monolog

„All das Schöne“, der jetzt Premiere

am Jungen Theater Regensburg hatte,

geht mit genau dieser Frage um,

in einer überaus liebevollen, empathischen,

dem Leben und der in ihm

wohnenden Trauer zugewandten

Weise, die zugleich humorvoll und

tröstlich wirkt. In Regensburg bekommt

der Text in der Inszenierung

von Tamira Kalmbach und durch

die Umsetzung durch die Schauspielerin

Constanze Winkler all diese

Weiterungen in allen Zügen mit.

Es ist ausgesprochen berührend,

wie das siebenjährige Kind auf die

Erkrankung ihrer Mutter reagiert,

indem es eine Liste erstellt mit allem,

was das Leben lebenswert

macht. Beginnend mit einem Eis.

Wie allmählich klar wird, dass man

mit solchen Stimmungsaufhellungsversuchen

an depressive Menschen

nicht herankommt. Und wie

dann aber diese immer mal wieder

weitergeschriebene Liste Bezüge

zum eigenen Leben bekommt.

In diesem ist öfter auch von der

Liebe zum Schallplattenhören die

Rede – und so ist denn auch das

Bühnenbild (Ausstattung: Christiane

Hilmer) geprägt von kreisrunden

Scheiben, die sich immer wieder

umlegen und umformen lassen, womit

der Schauspielerin das Mittel

zur Hand gegeben ist, den Text zu

strukturieren und durchzuführen:

Diese Scheiben machen unaufdringlich

einen Rhythmus so wie die

sehr geschmackvoll (von Ben Kopfnagel)

ausgewählte Musik. In dieser

Inszenierung wird außerdem das

Publikum wortwörtlich mitgenommen,

weil es mit zur Darstellung

beiträgt, kurz in Rollen schlüpft

und dergestalt mitmachen darf.

Es ist enorm, was das auch mit

dem Gemeinschaftsgeist und der

Spontaneität eines Publikums

macht. So wird denn beispielsweise

der Sockenhund der Vertrauenslehrerin

des kleinen Mädchens, der in

der Premiere „Wuffi“ getauft wurde,

in jeder weiteren dieser sehenswerten

Vorstellung anders heißen.

Constanze Winkler bekam bei der

Premiere sehr viel und sehr herzlichen

Applaus, weil sie den Text

ganz glaubhaft fast wie unter

Freunden vermitteln konnte, als sei

es mehr ein Gespräch mit den Zuschauern

als ein Theaterstück. So

wurde einem das Thema Depression

sehr nahe gebracht – und es durfte

dabei sogar viel gelacht werden.

Regensburger Zeitung, 12.6.22

 

Eine Million Gründe für das Leben

Constanze Winkler brilliert am Jungen Theater Regensburg in „All das Schöne"

Von Florian Sendtner Regensburg. Achtung, Trig­gerwarnung! In diesem Theaterstück wird gleich zu Beginn ein Hund eingeschläfert! Ein süßer, kleiner Hund namens Rocky Ravioli! Zwar wird nur so getan, als ob. Der Hund wird dargestellt durch ein Sitzkis­sen, die Todesspritze durch einen Kugelschreiber. Den­noch könnte die Szene bei empfindsamen Zuschauern 
Beklemmung auslösen! Ach was, vergiss es! Diese Szene soll Beklemmung aus­lösen, und sie tut es auch. Und das ist nur die Einstimmung zu .,All das Schöne", dem kompak­ten Einfraustück mit Constan­ze Winkler, das am Samstag im Jungen Theater Premiere hatte. Das Stück, das Duncan Mac­millan mit Jonny Donahoe ge­schrieben hat und das 2013 ur­aufgeführt wurde, packt ein heißes Eisen an - und ver­brennt sich nicht die Finger da­ran. Depression? Selbstmord?

Als Thema fürs Jugendtheater? Gott bewahre! - Das Junge Theater schert sich nicht um all die Bedenkenträger, die um Kinder und Jugendliche einen Schutzwall aufbauen wollen, der alles Negative von ihnen fernhält. Nach „Deportation Cast" von Björn ßicker und .,Schrei es raus! - überleben" von Maria Milisavljevic, in die­ser Saison Hausaustorin am Theater, nimmt sich die Ju­gendbühne bereits zum drilten Mal ein richtig brisantes The­ma vor. Und meistert es zum dritten Mal mit Bravour. Warum? Es gibt keine Antwort. Am Anfang steht ein siebenjäh­riges Mädchen, und als erstes erzählt sie die Sache mit ihrem kleinen Hund Rocky Ravioli. Aber kurz darauf muss sie mit ihrem Vater ins Krankenhaus fahren. Warum? Weil da deine Mutter ist. Warum? Weil sie sich wehgetan hat. Warum? Weil sie etwas Dummes ge-

macht hat. Es dauert Jahre, bis das Mädchen richtig realisiert, dass die Mutter unter Depres­sionen leidet und dass sie ver­sucht hat, sich das Leben zu nehmen. 
Warum, Warum, Warum? Fast eineinhalb Stunden lang kreist das Stück um diese Frage, auf die es natürlich keine Antwort gibt. Depressionen sind, wie sich erst in letzter Zeit herurn­gesprochen hat, eine Krank­heit, die jeden überfallen kann. Das einzige, was hilft, ist ärztli­che Behandlung. Ansonsten bleibt nur, was schon das siebenjährige Mäd­chen sofort tut: Gründe für das Leben sammeln. Sie schreibt jeden einzelnen auf einen Zet­tel. Zuerst kindliche Gründe: 1. Eis, 2. Wasserschlachten, 3. Länger aufbleiben dürfen und fernsehen. Dann anspruchs­vollere: 315. Sommerregen, 998. Würzige Pfannkuchen. Ihre Mutter, der sie die Zettel übergibt, erreicht sie damit freilich kaum. Das Stück ist als Einfraustück konzipiert, doch das Publikum wird involviert, unter anderem dadurch, dass freiwillige Zuschauer bei Mini­szenen kurz mitspielen. Durch diesen Trick verschwindet die gläserne Wand Zwischen dem Dargestellten und dem Publi­kum. Man kann das, was hier verhandelt wird, nicht einfach von sich wegschieben. Man merkt aber auch ständig: Es betrifft alle, es geht alle an. Und nebenbei hat das lmprovisie­ren am laufenden Band Situationskomik zur Folge, man muss lachen und kann sich nicht in depressive Gedanken hineinsteigern. Rundum glaubwürdig in der sehr konzentrierten und stimmigen Inszenierung von Tamira Kalmbach ist eine Constanze Winkler zu sehen, die eine unglaubliche Perfor­mance abliefert. Rundum glaubwürdig. Restlos ehrlich. Rauschender Beifall.

Mittelbayerische, 13.6.22

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